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  Münchner Merkur 23. November 2011
   

 

ULLA HAHN LIEST AUS WERKEN VON GERTRUD VON LE FORT  

Dogmatismus oder nicht?  

Baierbrunn - Wirklich vergessen ist sie nicht. Sagen wir so: Gertrud von le Fort ist heute nur mehr einem engen Kreis von Interessierten ein Begriff. Vielleicht hat das damit zu tun, dass im Zentrum ihres literarischen Schaffens Religion und Kirche stehen - da droht der Beigeschmack des Dogmatischen den Lesegenuss zu verbittern.

Auch Buchautorin Ulla Hahn schien diesen Eindruck zu haben, als sie im Baierbrunner „Wort & Bild-Verlag“ aus dem Werk der 1971 verstorbenen Schriftstellerin las. Erst die Diskussion zeigte: In le Forts Texten steckt möglicherweise mehr.

Zugegeben, es ist ein Mehr, das man sich erarbeiten muss. Schon die Biografie der Frau, die von 1922 bis 1939 auf der Konradshöhe in Baierbrunn lebte und hier einige ihrer bedeutendsten Werke verfasste, ist auffällig auf Religion gebürstet. Vielfach reist die Studentin der evangelischen Theologie nach Rom, veröffentlicht 1924 die „Hymnen an die Kirche“ und konvertiert zwei Jahre später zum katholischen Glauben. Kein Übertritt aus Abkehr von ihren evangelischen Wurzeln, sondern, wie Hahn aus einem Brief zitiert, aus dem Gefühl der „Einheit des Glaubens“.

Hier sei Ökumene vorgedacht, sagt Hahn, die nicht nur mit einem pfeifenden Mikro, sondern auch mit einer leicht erkälteten Stimme zu kämpfen hat. Le Fort, eine Vordenkerin? In diesem Punkt ja. Und doch will Hahn die Modernität der Autorin nicht recht einleuchten. Mit holzschnittartigen Figuren versuche sie, eine nicht minder holzschnittartige Idee zu illustrieren.

Diese Blanche etwa, die Hauptakteurin in der Novelle „Die Letzte am Schafott“, die ist ihr einfach fremd. Lammfromm geht das Mädchen zu Zeiten der Französischen Revolution in ein Kloster, um erst vor den Jakobinern zu flüchten und dann doch bereitwillig und singend aufs Schafott zu gehen. Woher diese seltsame Opferbereitschaft? Hahn bemüht einen Vergleich mit Selbstmordattentätern. Ein Raunen im Publikum. „Das ist jetzt etwas böse“, schiebt sie nach. Stimmt. Aber eine bessere Antwort ist nicht in Sicht. Auch Pfarrer Carl-Friedrich Burkert, der - inzwischen auf der Bühne - mit der Autorin über le Forts Novelle diskutieren soll, ist ratlos. Er sagt etwas vom Märtyrertum, rettet sich in die Schilderung biografischer Stationen. Die Opfer-Symbolik, die an Jesu Zweifel am Ölberg und seinen Tod erinnert, ist zu erschlagend, eine Diskussion mag sich nicht entwickeln.

Immerhin, ein zweiter Aspekt in le Forts Schreiben leuchtet auf: die zeitkritische Instrumentalisierung historischer Ereignisse. So etwas wie die französische „Terreur“ könne wieder passieren, schreibt die Autorin bezüglich ihrer Novelle Anfang der 1930er-Jahre. Ob sie da schon die kommenden Jahre im Blick hatte? Dieser Ansicht ist zumindest ein Vertreter der „Gertrud-von-le-Fort-Gesellschaft“ aus Oberstdorf, der die Autorin „dem christlichen Widerstand“ zurechnet.

Zu viel für Hahn, die le Fort eher als weltfremde Eigenbrötlerin begreift. Zwei Meinungen, endlich ein Ansatz zur Diskussion - doch dann ist der Abend vorbei. Am Ende dieser schönen, aber diskussionslahmen Lesung bleiben wohl nur zwei Einsichten. Erstens: Mit literarisch-religiöser Dogmatik haben wir es nicht mehr so. Zweitens: Ob le Forts Texte daran kranken, sollte der Leser selbst überprüfen.

MARCUS MÄCKLER

Münchner Merkur vom 23.11.2011, S. 32

Anmerkung: Der im Artikel angesprochene "Vertreter der 'Gertrud-von-le-Fort-Gesellschaft' aus Oberstdorf" war nicht an der Podiumsdiskussion beteiligt, sondern lediglich als Zuhörer anwesend.

 
   
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