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  Allgäuer Anzeigeblatt vom 31.10.2011
   

Widerstand gegen den Verfall der Menschlichkeit 
Todestag. Gertrud von le Fort verstarb vor 40 Jahren in Oberstdorf - Germanist und Theologe Manfred Schäfer erklärt die Bedeutung der Dichterin
VON VERONIKA KRULL

Ofterschwang Ihre Werke sind auf Dänisch zu lesen, auf Russisch oder Japanisch. Hierzulande ist es schwierig, ein Buch von ihr zu kaufen. „Gertrud von le Fort wird überall geachtet, nur in Deutschland nicht“, sagt Manfred Schäfer (67). Der Studiendirektor a. D. ist Vorsitzender der „Literaturgesellschaft Gertrud von le Fort“ in Ofterschwang.

Seit rund sieben Jahren befasst sich der ehemalige Lehrer am Gymnasium in Oberstdorf, das den Namen der Dichterin trägt, intensiv mit ihrem Leben und Werk. Von le Fort, im westfälischen Minden geboren, lebte rund 30 Jahre lang bis zu ihrem Tod in Oberstdorf. Am Dienstag, 1. November, jährt sich ihr Sterbetag zum 40. Mal.

Bekannt geworden ist die Schriftstellerin 1924 durch den Gedichtband „Hymnen an die Kirche“. Damit sei sie, so Schäfer, „schlagartig in die europäische Literaturszene hineingewachsen“. Zeitlebens genoss sie große Anerkennung, erhielt zahlreiche Auszeichnungen, verkehrte mit Persönlichkeiten wie Carl Zuckmayer, Arthur Maximilian Miller oder Hermann Hesse, der sie 1949 sogar für den Literaturnobelpreis vorschlug. Für Manfred Schäfer, der Philosophie, Theologie und Germanistik studiert hat, gilt Gertrud von le Fort „als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Dichterinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“. Sie war, sagt Schäfer, in erster Linie eine gesellschaftskritische Autorin, und „der Glaube war die Basis, um Lebenssituationen zu interpretieren.“ Von le Fort wurde evangelisch getauft, konvertierte aber im Alter von 50 Jahren zur katholischen Kirche, was viele ihrer Bekannten irritiert habe. Doch die Dichterin habe immer betont, dass es kein Übertritt, sondern ein Eintritt gewesen sei: Für sie sei, so Diplom-Theologe Schäfer, die evangelische Kirche ein Teil der katholischen Kirche gewesen. „Von Grund auf ökumenisch“, meint Schäfer, der sich selber auch als „Grenzgänger“ bezeichnet: Er wurde ebenfalls evangelisch getauft, aber bereits im Alter von sechs Jahren konvertiert.

Gertrud von le Fort war mehrfach in Rom, zeigte sich beeindruckt vom Papst und dem Vatikan als beständige Größen in wirren Zeiten, schätzte nach eigenen Worten „die Erhabenheit der Liturgie, die Unwiderlegbarkeit der letzten Glaubensgründe“. Im „Dritten Reich“ konnte die Dichterin ungehindert publizieren, ihre Bücher wurden nicht verbrannt, durften aber nicht ausgeliehen werden. Schäfer: „Die Nazis wussten mit ihr nichts anzufangen.“ Wohl auch, weil sie ihre Gesellschaftskritik in historischen Stoffen verpackte.

In der 1931 erschienenen Novelle „Die Letzte am Schafott“, später verfilmt und Grundlage für eine Oper von Francis Poulenc, werden die Ereignisse in die Zeiten der Französischen Revolution verlegt. Doch der beschriebene „ Verfall der Menschlichkeit“, die „existentielle Bedrohung durch Massenpsychosen“ seien gegen Bolschewisten und Nationalsozialisten gerichtet gewesen, sagt Schäfer. Auch die Erzählung „Die Consolata“, im Krieg geschrieben und aus Angst vor den Nazis unter dem Fußboden in Millers Haus versteckt, habe in der Darstellung des Tyrannen Ansedio in Hitler ein direktes Vorbild gehabt. Damit sei die Vertreterin einer „christlichen Widerstandsliteratur“ weit entfernt gewesen von einer „naiv-frömmelnden Schriftstellerin“, stellt Manfred Schäfer fest. Zumal sie mit dem Roman „Das Schweißtuch der Veronika“ fast auf den Index gekommen sei, weil sie nach Ansicht der Kirche das Sakrament der Ehe zur Disposition gestellt habe.

„Absolut lesenswert“, beurteilt der Germanist die Werke der Gertrud von le Fort, auch wenn es „keine leichte literarische Kost“ sei.

Aus gesundheitlichen Gründen: Umzug ins Allgäu
Gertrud von le Fort wurde am 11. Oktober 1876 in Minden/Westfalen geboren. Ihre Kindheit und Jugend war geprägt durch zahlreiche Umzüge, bedingt durch den Beruf des Vaters, eines preußischen Majors. Auf Minden folgten die Stationen Berlin, Koblenz, Hildesheim, Halberstadt und Ludwigslust/Mecklenburg-Vorpommern.

Sie studierte Theologie, Geschichte und Kulturgeschichte in Heidelberg, Marburg und Berlin. 1922 zog sie mit ihrer Schwester nach Baierbrunn bei München und schließlich aus gesundheitlichen Gründen 1940 nach Oberstdorf. Dort starb sie am 1. November 1971 ohne Nachkommen im Alter von 95 Jahren.

Die „Literaturgesellschaft Gertrud von le Fort“ wurde 2006 gegründet.
Die Ziele: Das Werk von Gertrud von le Fort, aber auch von anderen Schriftstellern, die einen regionalen Bezug aufweisen, in der Öffentlichkeit vorzustellen, die wissenschaftliche Erforschung der Werke sowie die Einrichtung eines Literaturmuseums.
Informationen im Internet unter www.gvlf-ev.de

Gedenken: Der Markt Oberstdorf würdigt seine Ehrenbürgerin aus Anlass des 40, Todestages am Dienstag, 1. November, an ihrer Grabstätte im Oberstdorfer Waldfriedhof. Um 15 Uhr werden die Katholische Pfarrgemeinde und der Markt Oberstdorf gemeinsam einen Kranz am Grab niederlegen.
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